Jahrzehntelang hat Fritz Neukomm versucht, Gegensteuer zu geben – aber die Probleme seien immer noch die gleichen. Der 86-jährige Langenthaler berichtete von seinen Anfängen als Dirigent: In seiner ersten Probe hatte ein Schlagzeuger eine Brissago geraucht – allerdings zum letzten Mal. Neukomm hatte sich durchgesetzt.
Die Bedingungsfelder der einzelnen Vereine seien völlig unterschiedlich – der Dirigent müsse versuchen, das Beste herauszuholen, stellte Neukomm fest.
Rolf Schumacher wies auf das enorm gewachsene Freizeitangebot hin. Die Konkurrenz zu den anderen Sparten werde immer härter.
Trachsel fragt sich, wie sich die Blasmusik gegenüber all diesen Problemen verhalten soll.
Neukomm hatte die Zahlen präsent: Aktuell sind es beim SBV 54’000 Mitglieder gegenüber 76’000 im Jahr 2001. Bei seinem Start 1971 lautete die Zielsetzung noch, künftig 100’000 Mitglieder zu haben. Die Jugend musiziere immer noch, aber sie gehe nicht mehr unbedingt in die Vereine.
Trachsel fand, dass sich die Vereine zu sehr an den Gemeindegrenzen orientieren, statt sich an die Kultur des Musizierens zu halten. Schumacher hat vor 45 Jahren das Sinfonische Blasorchester Bern (Sibo) gegründet. Heute gebe es viele neue Vereine, stellte er fest. Die Qualität müsse einfach stimmen, dann seien auch die Jungen dabei, so Schumacher. Wer in den letzten 20 Jahren nur auf Nachwuchs gewartet habe, büsse heute dafür. Fusionen können funktionieren, seien aber kein Garant.
Enorm wichtig sei die Dirigentenausbildung. Denn wenn der Dirigent den Verein motivieren könne, seien die Mitglieder aktiv. Auch das Vereinsmanagement müsse unbedingt verbessert werden. Das Niveau sei in den letzten Jahren enorm gestiegen.
Schumacher spricht von Gesundschrumpfung. Qualität meine nicht Höchstklasse, sondern betreffe jedes Niveau und jeden Schwierigkeitsgrad. Beispiele wie Luzern und Kreuzlingen zeigten, dass es auf jeder Stufe möglich sei.
Trachsel fragte sich, ob der Wettbewerbsgedanke der Akzeptanz der Vereine schade. Neukomm sprach vom Antrieb, wieso man musiziert. “In der Brass-Szene sind sie wettbewerbsfreundlich, was zu einer wesentlichen Erhöhung der Qualität geführt hat.” Er sei für Qualität, aber Qualität sei nicht absolut zu verstehen. Sie müsse von Verein zu Verein neu diskutiert werden.
“Müsste also die Musik der alleinige Motivator sein?”, fragte Trachsel. Jeder wolle wissen, wo er steht, fand Schumacher. Beides sei wichtig. Früher hat man Lotto gespielt, um Geld einzunehmen, heute generiere man dazu Wettbewerbe, so Schumacher.
Schumacher findet es gut, alle fünf Jahre, zwischen den Eidgenössischen Musikfeste, den Höchstklassvereinen ein Festival anzubieten. Das sei eine tolle Idee. Doch er fragte auch: “Aber muss es unbedingt ein Wettbewerb sein, kann man nicht einfach einen Tag lang die Musik geniessen?”
Problematisch würden Punktzahlen, wenn man zu viel in die Punkte hinein interpretiere, so Neukomm. Ein Verein wolle das Beste geben, ohne den Aufwand zu übertreiben.
Wie kann die Blasmusik in die Breite der Bevölkerung transportiert werden? An Wettbewerben bringe jeder Verein sein Publikum mit, einen Zusammenhalt untereinander gebe es nicht.
Wir müssten fähig zu ein, das breite Publikum zu erreichen – wie es bei den Höchstklass-Orchestern im KKL funktioniert habe. Auch müsse man wegkommen vom Bier-Image, verlangte Trachsel. Schumacher konterte, bei Schwingen und Turnen sei das auch so und der Alkoholgenuss gehöre einfach zur Gesellschaft.
Die Blasmusik habe andere Facetten. Es sei unsere Aufgabe, dem Publikum klarzumachen, dass die besten Höchstklassorchester ebenbürtig zu Sinfonieorchestern seien. Trachsel will aber, dass auch 2.- und 3.-Klass-Vereine gehört werden.
Schumacher fand, in den kantonalen Verbänden werde sehr gute Arbeit geleistet – beispielsweise in der Dirigentenausbildung und im Vereinscoaching.
Neukomm sieht die Ausbildung der Dirigenten im Zentrum. Die Zusammenarbeit mit den Musikschulen sei mittelprächtig. Es gebe zu viele Musiklehrer, die abraten, in einen Musikverein einzutreten – und es gebe auch zu viele Musiklehrer, die abgelöscht seien und keine Begeisterung mehr ausstrahlten.
Auch das Niveau innerhalb eines Vereins ist unterschiedlich. Wie geht ein Verein damit um? Über- und Unterforderung sei problematisch. Neukomm, der früher Didaktik unterrichtet hat, erinnerte an Stephan Jaeggi, der seine Bläser kannte und jedem eine für ihn passende Stimme präpariert hatte.
Zusammenfassend fand Thomas Trachsel, es brauche die Konsequenz im Bereich der Qualität.
Mit diesem Text ist die Berichterstattung über das tolle Blasmusikfestival aVENTura abgeschlossen. Der BDV bedankt sich beim SBV für die Initiative. Wir sind stolz, konnten wir mit der Podiumsdiskussion über Schweizer Blasmusikliteratur einen Beitrag leisten.