Skip to main content
Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband

Dirigentenportrait

Dirigieren oder dirigiert werden

24. April 2025
von Isabelle Gschwend
Der international tätige Dirigent Gregor Kovačič beschäftigt sich in seinem Buch mit der Frage: «Wie kann ich ein Orchester sowohl auf der menschlichen als auch auf der psychologischen Ebene erfolgreich führen?»

Text: Isabelle Gschwend

Was während seines Studiums oder bisher mit der vorhandenen Sachliteratur kaum vermittelt wurde, hat er dank seiner jahrelangen Erfahrung selbst gefunden, ausprobiert und die Lösungsansätze als Behelf für jeden Dirigenten in seinem Buch festgehalten.


Auf der Suche nach Antworten
Das grosse Bedürfnis nach der Antwort zur natürlichen Autorität hat Gregor Kovačič angetrieben: «Wie kann ein Dirigent seine musikalischen Ideen umsetzen, ohne übertrieben autoritär zu wirken? Wie kann man mit störenden oder destruktiven Persönlichkeiten im Orchester umgehen und wie kann man gemeinsam die Musik im besten Sinne des Komponisten umsetzen?» Basis zur Beantwortung dieser Fragen ist seine jahrzehntelange Erfahrung als Musiker und Dirigent und das Fachwissen über die Psychologie von Musikern.

Auch die Entstehung des Dirigierens und Berichte berühmter Dirigenten (z.B. «Mission Musik» von Herbert Blomstedt) gaben ihm Impulse für sein eigenes Buch. Hierbei hat er festgestellt, dass sich viele grundlegende Dinge sowohl bei professionellen Klangkörpern als auch bei Amateurorchestern sehr ähneln. «Um sich als Dirigentin/Dirigent sicher und nicht machtlos zu fühlen, ist es wichtig, die Hintergründe zu den verschiedenen Menschentypen zu kennen. Auch im Amateurblasorchester ist es wichtig, sich dieser Thematik bewusst zu sein. Bei Amateuren schätze ich besonders, wie viel Energie sie ins Musizieren hineingeben und wie bemüht sie sind, musikalische Ideen umzusetzen. Daher muss man als Orchesterleiterin umso mehr wissen, wie man die Musiker zur aktiven Mitarbeit bringen und ihre Talente geschickt einsetzen kann», erzählt Kovačič.

Sich mit sich selbst auseinandersetzen
Als junger Dirigent sind das Aufbauen von Selbstvertrauen und die Identifikation mit der Rolle als Orchesterleiter zentral. Hier spricht Kovačič aus eigener Erfahrung, da er sich zu Beginn seiner Karriere nicht  leichttat, obwohl er selbst ein begnadeter Klarinettenvirtuose ist.


Beim Umgang mit eigenen Fehlern soll man nachsichtig sein. Als Dirigentin oder Dirigent darf man auch ruhig einmal Fehler machen. Für den Lernprozess ist es sogar gut, wenn manchmal etwas daneben geht. Wir lernen bei jeder Probe. Zudem gestaltet sich jeder Probenablauf ganz anders und sollte von viel positiver Selbstreflexion geprägt sein.

Verzählt man sich zum Beispiel einmal, ist es besser sich zu diesem Fehler zu bekennen, als diesen zu ignorieren. «Als Orchestermusiker habe ich dies oft selbst erlebt. Während so mancher Opernprobe haben Dirigenten alle anderen beschuldigt, obwohl sie selbst versagt haben.» Als Musikerin spürt man dies sofort. Mit Unehrlichkeit beginnt auch die unangenehme Kommunikation mit dem Orchester. Alles richtig machen zu müssen, beruht auf folgendem falschen Mindset vieler Dirigenten: «Alles, was aus meinem Mund kommt, ist Gold.

Nur die Musik zählt
Bei Proben empfiehlt Gregor Kovačič gleich über die Musik zu sprechen. Dabei erzählt er von den Erfahrungen seines Kollegen: «Kirill Petrenko spricht nur über die Musik und wie er sie fühlt und er erzählt das Wesentliche über das Stück, welches er dirigiert. Er wird nie persönlich.» Kovačič ist überzeugt, dass zwischenmenschliche oder autoritäre Probleme auf diese Art vermieden werden können. Im Zentrum steht  immer nur die Musik, niemals der Musiker oder Dirigent.


Der Zauber grosser Dirigenten
Bekannte Dirigenten wirkten meist lange am selben Ort und haben somit Jahrzehnte intensiv mit dem gleichen Orchester gearbeitet, z.B. Jansons in Oslo, Blomstedt in Leipzig, Mehta in Los Angeles. Sie hatten die Möglichkeit, in Ruhe zu arbeiten und sich zu entwickeln.

Anschliessend mussten sie sich nicht mehr beweisen. Sie vertrauten ihren Musikern, welche dies spüren und während der Konzerte alles gaben. Oder wie Jansons gesagt hat: «Es kommt aus dem Herzen.» Petrenko zum Beispiel kümmert sich nicht um sein Aussehen oder ob seine Gestik elegant ist. Er zeigt seine Gefühle und geht seinen persönlichen Weg ohne Scheu.


Weniger Führung, mehr Freude am Musizieren
Der Dirigent hat die Aufgabe, die Qualitäten eines Orchesters möglichst schnell zu erkennen. In Folge muss er das Orchester gezielt in seine Richtung lenken. Kovačič sagt, dies braucht Ausdauer, dauert etwa zwei Jahre und basiert auf Vertrauen. Jungen Dirigierenden rät er, sich Zeit zu nehmen, sich ständig weiterzubilden und gemeinsam mit dem Klangkörper etwas aufzubauen.

Gregor Kovačič spricht aus eigener Erfahrung: «Als junger Dirigent habe ich die Orchester mit Kraft geführt und wollte den Musikern meine Ideen aufzwingen, damit alles möglichst schnell zur Wirkung kommt. Ich wollte den Musikern zeigen, was ich kann und was ich zu Hause brav erarbeitet habe. Doch so geht es fast nie. Im Laufe der Jahre habe ich meinen Musikern und Musikerinnen immer mehr Vertrauen geschenkt und ihnen immer mehr Freiheiten eingeräumt, was diese sofort gespürt hatten. So haben sie mehr Lust und Freude am Musizieren bekommen, sind aber zugleich meinem Weg der musikalischen Betrachtung
gefolgt. Heute lautet mein Konzept für die Probe: Mehr zeigen als erklären! Nur markante Stellen bewusst herauspicken und daran arbeiten, aber viel mehr spielen lassen.»


Umgang mit Besserwissern
Egal, ob Amateur- oder Topmusiker, wir Musiker sind unglaubliche Handwerker, die jedoch für den Umgang mit Stresssituationen keine Tools besitzen. Jede Sportlerin hat ihren Mentaltrainer, Psychologen usw. Musiker sind jedoch meist allein unterwegs. Woher soll man wissen, wie man ein Orchester am besten führt, damit es eine Topleistung erbringt. Wie stark soll man führen? Wie viel Freiheit soll man gewähren? Die richtige Balance zu finden, ist auch abhängig vom Können und vom Charakter der Musikanten und Musikantinnen.

Wissen hilft! In jedem Orchester gibt es die Besserwisser, Kontrollfreaks, Nörgler oder Aufmüpfige, was stets eine Herausforderung für den Dirigenten ist. Das Buch gibt fundierte Tipps, wie man mit solchen Menschen umgehen kann. Dieses Wissen sollte man in seinem Hinterkopf abspeichern und mit Bedacht anwenden. Es ist zu bedenken, dass man selbst Teile dieser Persönlichkeitsmerkmale in sich trägt.


Flexibel sein
«Stellen Sie sich vor, dass Sie sich für ein Herzensprojekt besonders gut vorbereitet haben. Sie haben sich sogar Gedanken gemacht, wie Sie gewisse Probleme im Trompetenregister ansprechen können, bei denen möglicherweise etwas schiefgehen könnte. Und dies, ohne beleidigend oder herabwürdigend zu sein. Doch bei der Probe merken Sie sehr rasch, dass die Trompeter an diesem Tag für eine Kommunikation nicht bereit sind.» Ein autoritärer Dirigent würde nun sein Vorhaben umsetzen und die Trompeter ansprechen, obwohl vorhersehbar ist, dass in diesem Moment eine Kommunikation nichts bringen würde. Das
Ergebnis wäre eine schlechte Laune und Unkonzentriertheit der Trompeter, welche er nun für diese Probe, oder auch für sein ganzes Projekt verlieren würde.

Ein kluger Dirigent, der nicht sein eigenes Ego in den Vordergrund stellt, würde flexibel sein, rasch etwas anderes suchen und bei der Probe umsetzen. Dies funktioniert natürlich auch bei Amateuren. Als Dirigentin muss man flexibel bleiben. Es kommt immer anders. Egal was man vorbereitet hat, man muss schnell reagieren und die Probe anpassen.

Musikanten motivieren
«Am meisten motiviere ich meine Musiker, wenn sie mich motiviert sehen. Wenn mir dieses Stück wichtig ist, dann strahlt meine Begeisterung auch nach aussen und die Musiker nehmen das wohlwollend auf.» Bei jeder Programmwahl müssen Stücke enthalten sein, die den Dirigenten besonders motivieren und bei welchen er seine Stärken zeigen kann. Obwohl solche Stücke beim Verein vielleicht nicht von Anfang an auf gute Resonanz stossen.

«Natürlich sollten wir Dirigenten – insbesondere im Amateurbereich – auf die Wünsche des Vereins eingehen. Aber schliesslich muss der Dirigent den Weg finden, sich einerseits selbst treu zu bleiben, und andererseits seine Musiker und das Publikum stets aufs Neue zu fordern.»

 

Text: Isabelle Gschwend

 

Buch: «Dirigieren oder dirigiert werden» von Gregor Kovačič, bestellen unter
http://conkovacic.com/dirigieren-oder-dirigiert-werden oder QR-Code, 35.- €

 

 

Persönliches
Studium in Slowenien und in den Niederlanden (Maastricht)
Orchester: Salzburger Landesblasorchester, Kammerharmonie Salzburg, BO Ravne, BO Loibach
Highlights: Prager Philharmonie, Slowenische Philharmonie, Royal Symphonic Band of Belgian Guides, Slowenisches Polizeiorchester

Größe: 57.64 kb