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Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband

Bundeshaus

Künstliche Intelligenz und Urheberrecht: Ein Widerspruch?

01. September 2025
von Theo Martin
Das Parlament berät zurzeit die Motion Gössi (24.4596) unter dem Titel «Besserer Schutz des geistigen Eigentums vor KI-Missbrauch». Aus diesem Anlass äussert sich Suisseculture zum Hintergrund und – positiv – zur Motion.

Dies in der laut Swissculture begründeten Auffassung, dass Lizenzen und Vergütungen eine vorteilhafte Marktordnung entstehen lassen, und dass dafür mehrere urheberrechtliche Modelle zur Verfügung stehen werden. Die Anliegen der Wissenschaft und Wirtschaft können in den Einwilligungs- und Vergütungsmodellen berücksichtigt werden. Suisseculture beschreibt eine von mehreren möglichen Lösungen (im Folgenden wörtlich wiedergegeben).

 

Gefährdung und Chance des Urheberrechts im Zeitalter generativer KI

Die grossen Sprachmodelle, Bild-, Musik- und Videogeneratoren und ähnlichen Systeme generativer künstlicher Intelligenz wie ChatGPT oder Perplexity haben das Urheberrecht und ein Einwilligungsprinzip umgangen. Zudem erzeugen diese Modelle basierend auf grossen Mengen urheberrechtlich geschützter Daten ähnliche und neue Inhalte, die wirtschaftliche Investitionen und künstlerische Interessen gefährden. Bis heute fehlt es an Rechtssicherheit und Transparenz zu dieser Datennutzung. Die schweizerische Politik steht vor der Aufgabe, Lösungen zu ermöglichen, die den Schutz kreativer Werke und Leistungen mit Innovation, Wirtschaft, Wissenschaftsfreiheit und Zugang zu Kulturgütern in Einklang bringen.

Generative KI im Kontext des Urheberrechts

Generative KI-Systeme kombinieren grosse Datenmengen, Deep-Learning-Modelle und dialog-basierte Interaktion. Zudem werden durch Retrieval aktuelle Quellen gezielt abgerufen und in den Output der KI eingebaut. Verträge mit Verlagen und anderen Inhaltsverantwortlichen werden selektiv abgeschlossen, aber es dominiert nach wie vor die freie Bedienung an veröffentlichtem Content. Es fehlt eine Lösung für die Frage: Wie dürfen KI-Systeme urheberrechtlich geschützte Werke nutzen, und wie werden deren Inhaber:innen dafür entschädigt?

Einwilligungsprinzip und Digitalwirtschaft als Leitbild

Das Einwilligungsprinzip, ein Grundgedanke des Urheber- und Vertragsrechts, strukturiert den Umgang mit kreativen Inhalten. Es schützt Vermögenswerte und fördert differenzierte Marktmechanismen, Partnerschaft und faire Wettbewerbsbedingungen. Seit dem Aufkommen der Plattformen wurden Inhalte zunehmend produktiv und interaktiv weiterverwendet, ohne dass eine Rechtsbeziehung, Partnerschaft oder Autorisierung vorliegt. Die klassische Analogie zum materiellen Diebstahl stimmt insofern nicht, als das Diebesgut nicht entwendet wird – der Vermögensverlust ist aber genauso real. Die schweizerische Gesetzgebung war hier schon mehrfach Vorreiter und hat Lösungen wie die obligatorische Kollektivverwertung (transparente und genehmigte Tarife) und die erweiterte Kollektivlizenz (Opt-out-System für zugelassene Nutzungsbereiche) entwickelt.

Kollektivverwertung als Erfolgsmodell – Ein Ansatzpunkt für KI-Lizenzen

Das System der Kollektivverwertung, etabliert im schweizerischen Urheberrecht, ermöglicht eine effiziente und gerechte Vergütung für die Nutzung kreativer Werke. Tarifverfahren, Verhandlungen und die Kontrolle durch eine Schiedskommission sowie das Institut für Geistiges Eigentum sorgen für Transparenz und Objektivität. Die Einigung zwischen Rechteinhabern und Nutzerinnen basiert auf Fakten, Studien und Argumenten und gewährleistet Flexibilität bei der Anpassung an Entwicklungen der Technik und Nutzung. Dieses Modell hat sich beispielsweise für die Kabelweitersendung, die Kopiervergütungen in Schulen und Unternehmen und für die Musikberieselung bewährt.
Ein – neben anderen – mögliches Lizenzmodell wäre z.B. auf folgender Basis denkbar:

  • Dank Lizenzen und Vergütungen entsteht eine Marktordnung mit Rechts- und Budgetsicherheit sowie mit Differenzierungsmöglichkeiten. Zugleich übernehmen KI-Dienste eine Mitverantwortung im Ökosystem Internet. Sie stehen dazu, dass sie Inhalte beschaffen, breit oder gezielt, und dass sie mit kreativen Menschen und produzierenden Organisationen zusammenzuwirken. Die Praxis bietet Lizenzen mit genereller Erlaubnis und gezielte Inhalte mit Exklusivität.
  • Das Dilemma zwischen Nutzung und Rechten ist nicht neu, und Lösungen sind im Urheberrecht angelegt. Sie lassen sich für KI zweckmässig kombinieren. Eine Basis ist das bewährte schweizerische Tarifverfahren. Unter Leitung der Verwertungsgesellschaften entstehen Vergütungsmodelle aufgrund von Nutzungsnachweisen und statistischen Studien, in planmässigen paritätischen Verhandlungen mit behördlicher Genehmigung und periodischer Anpassung.
  • Die Einwilligung der Rechteinhabenden kann gesetzlich vorgegeben, kollektiv erteilt oder individuell verhandelt werden. Ein Verbotsrecht nur für bestimmte Werkkategorien und Rechteinhabertypen wäre denkbar. Zum Beispiel sind die Musik- und Filmindustrie, die grossen Medien- und Buchverlage sowie die Verwertungsgesellschaften eher in der Lage, individuelle Verhandlungen zu führen und auf kollektive Entschädigungen zu verzichten als die breite Masse der Kreativschaffenden und Publizierenden.
  • Der Zugang zu veröffentlichten Werken und Leistungen darf nicht ausgehöhlt werden. Soweit das Einwilligungsprinzip durch rechtsgeschäftliche Erklärung umgesetzt wird (individuelle oder kollektive Lizenz), ist ein Opt-out praktikabler als ein Opt-in. Eine Ausnahmeerklärung betrifft die Zukunft, was der Rechts- und Budgetsicherheit dient. Sie ist beim Inhalt oder auf der Domäne hinterlegt, soweit dies praktikabel und wirksam ist (was heute für robots.txt nicht zutrifft), oder sie richtet sich an Verwertungsgesellschaften.
  • Die Höhe der Vergütungen entsteht durch Objektivierung in Verhandlungen und Schiedsentscheiden, so wie heute für Kabelweitersenden, Musikberieselung, Speichermedien, Kopiervergütungen, Archivnutzungen und verwaiste Werke etc. Die KI-Dienste legen ihre Nutzungen, die Verwertungsgesellschaften ihre Berechnungen auf den Tisch, und man einigt sich mit Beweisen und Argumenten. Verhandlungen und Tarife sind fair, beaufsichtigt und flexibel. Tarife gelten für alle, einheitlich und transparent.

Diese Beschreibung skizziert eine mögliche Lösung. Andere Lösungen, Varianten davon und Fragen der Umsetzung solcher Lizenzmodelle sollten dem Gesetzgebungsverfahren überlassen bleiben. Entscheidend ist, dass über KI (in allen Formen) und Urheberrecht (mit allen Lösungsansätzen) beraten wird, dass die Rechtssicherheit und die Rechte an Inhalten gestärkt werden, und dass eine Chance auf Vergütungen für Urheber:innen und andere Inhaber:innen von Rechten besteht.

Handlungsempfehlungen für die Schweizer Politik

1. Initiierung eines Gesetzgebungsprozesses: Die exemplarische Regulierung von KI-Nutzung am Schnittpunkt von Urheberrecht, Wissenschaft und Gesellschaft muss durch parlamentarische Debatten und Gesetzesvorschläge vorangetrieben werden. Erfahrungswerte aus anderen Bereichen der digitalen Kollektivverwertung können als Vorbild dienen. Die Interessen aller Beteiligten sind zu berücksichtigen.
2. Annahme der Motion Gössi, bei Bedarf mit Präzisierungen. Suisseculture versteht die Motion so, dass mehrere Formen der Zustimmung möglich sind, auch in Kombination mit Vergütungen und Opt-out-Erklärungen. Dies kann aber auch durch Erläuterungen in den Räten oder durch Anpassungen des Motionstexts präzisiert werden.

 

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